Lenny Löwenstern – eine schöne Komposition eines Künstlernamens (mehr sei hier nicht verraten) – hat es zusammengetragen: Das Buch der schönen Wörter. Darin zu finden sind sie, die Wörter mit dem besonderen Klang, Wörter, die Sehnsüchte und Erinnerungen hervorrufen und uns seelenfrohe Gefühle verschaffen.
Von Ralf Stöckli

In seinem Vorwort schreibt Lenny Löwenstern: «Ich liebe nostalgische alte Wörter. Ich nenne sie Wohlfühlwörter, weil sie ein positives Gefühl auslösen können. Sie sind Wellness und Wohlsein für Texte. Und weit mehr als nur Wortpracht und Schöntuerei. Wörter sind das Baumaterial, aus dem ein Werk geformt wird. Und nicht zuletzt, damit nicht alle immer dasselbe schreiben, ist die Auswahl riesengross. Dabei übersieht man leicht etwas, anderes gerät in Vergessenheit. Was oft schade ist, denn unsere Sprache ist ein Schatz. Hier habe ich versteckte Reichtümer gehoben.»
Lenny Löwenstern versteht sein Werk nicht als «wissenschaftliches Buch, sondern eines für alle, die unsere Sprache mögen. Es geht nicht um Vollständigkeit. Dies ist keine Inventarliste, kein Lexikon oder Wörterbuch herkömmlicher Art. Es ist eine Auslese. Ein Ideenbuch.»
Im Kapitel «Wohlfühlwörter der deutschen Sprache» gibt der Autor allen ausgesuchten schönen Worten einen Text samt Quellenangabe mit. Hier ein paar der Schönheit preisgebenden Lesebeispiele:
anschmiegsam
(sich zärtlich anschmiegend)
«Sie blickt geradeaus, ein Tuch ist ihr über das Haar gelegt und fällt zu beiden Seiten auf Hals und Schultern anschmiegsam herab. In ihrem Antlitz, ihren Blicken hegt sie eine wunderbare Hoheit,
einen königlichen Ernst, als fühle sie die tausend frommen Blicke des Volkes, das zum Altare zu ihr aufsieht.»
Herman Grimm: Das Leben Michelangelos, 1860
Augenschmaus
(ein erfreulicher, appetitanregender Anblick)
«Nun fing die gute Elsbette an, zu backen und zu rühren, und dachte, es könne ihr nicht fehlen. Sie brachte eine Schüssel dampfender Krautklösse auf den ersten Mittagstisch – wirklich ein
einziger Duft und Augenschmaus! – ein Bild für einen Maler! Und süsse, lockere Heisswecken mit purpurrotem Hagebuttenguss gab es am nächsten Tag.»
Frida Schanz: Der flammende Baum, 1916
Backfisch
(Mädchen, Teenager)
«Natürlich hatte sie blaue Augen und einen blonden, etwas unfertigen Mozartzopf, und natürlich roch sie nach Butterbemmen, denn sie war ein Backfisch. Backfisch mit der Notenmappe. Backfisch mit
den schlenkernd eckigen Bewegungen. Backfisch mit dem ruckweisen Kopfwenden. Backfisch mit den kolossalen Geographiekenntnissen. Backfisch mit dem noch nicht völlig damenhaft langen
Kleide.»
Otto Julius Bierbaum, Studenten-Beichten, 1893
Behutsamkeit
«Sie blieb stehen, und schliesslich liess sie verträumt und mit unendlicher Behutsamkeit ihren Finger über eine der schwarzblauen Beeren der Weintraube gehen, um zu sehen, ob der graue Hauch und
Nebel, der sie bedeckte, unter dieser Berührung verschwinde oder nicht.»
Paul Kornfeld: Blanche oder Das Atelier im Garten, 1957 posthum veröffentlicht
farbenfroh
«Das süddeutsche, spielerische, farbenfrohe Barock ist hier überall zu finden – es knallt mitunter vor Buntheit wie ein bunter Bauernstrauss, ist aber fast immer in künstlerischer Zucht
gebändigt. Nebeneinander liegen stets der alte Fachwerkbau der Bürger, der Zünfte, der Arbeitenden – und das feierlich prunkhafte Barock der damals Herrschenden, der Bischöfe, der kleinen
Fürsten.»
Kurt Tucholsky, Wer kennt Odenwald und Spessart? 1925
Freiheitsdrang
(sich in seinem Tun nicht mehr ein engen zu lassen)
«Als er aber in dieses langweilige Kasernenhotel kommandiert wurde, und den ganzen Tag lang das Meer vor sich sah, regte sich ein gewaltiger Freiheitsdrang in ihm. Und eines Abends ging er
hinunter an den Hafen, spazierte die Küste entlang, suchte sich ein arabisches Fischerboot aus, das ihm gefiel, sprengte in aller Gemütlichkeit die Kette mit einem grossen Stein, zog das Segel
auf und fuhr hinaus ins Meer.»
Erwin Rosen, In der Fremdenlegion, 1909
Ein schönes Buch über schöne Wörter. Sympathisch aufgemacht und gut lesbar. Zum selber lesen und als Geschenk geeignet. Und zum Gebrauch, wenn man in seinem eigenen Sprachgebrauch wieder mal das eine oder andere «neue» Wort einflechten möchte.