Unternehmen werden zu Medien – und benötigen neue Organisationskonzepte

Klassische Unternehmensorganisationen stehen einer modernen Kommunikation im Weg. Nach der Erkenntnis, dass Kommunikation im digitalen Zeitalter neue Strategien benötigt, realisieren die Unternehmen jetzt eine neue Herausforderung: Sie müssen ihre Kommunikationsorganisation transformieren.

Von Rolf-Dieter Lafrenz | Geschäftsführender Gesellschafter der SCHICKLER Beratungsgruppe (Publikation mit freundlichem Einverständnis des Autors)


Erstveröffentlichung des Artikels in der Fachzeitschrift W&V (Werben & Verkaufen), in der Ausgabe 50-2015, am 7. Dezember 2015


Medien als Vorbild für Unternehmen: Gibt es bald Kommunikationszentralen in Unternehmen, ganz nach dem Vorbild von News Rooms in Medienorganisationen?
Medien als Vorbild für Unternehmen: Gibt es bald Kommunikationszentralen in Unternehmen, ganz nach dem Vorbild von News Rooms in Medienorganisationen?

Die klassische Organisation von Kommunikation in Unternehmen wurde in der analogen Welt geboren. Pressearbeit, Brand Marketing, Vertrieb, Service, HR, etc. sind getrennt aufgestellt. Jede Abteilung betreibt ihre eigenen Kommunikationskanäle. Vernetzung und Austausch? Schwierig, teilweise nicht gewünscht oder von grosser Eifersucht begleitet. Schnittstellen in den Prozessen werden zu tatsächlichen Schnitten in der Organisation. Gemeinsame Datenhaltung, kanalübergreifende Produktion von Medieninhalten, harmonisiertes Rechtemanagement? Häufig Fehlanzeige.

 

Die Probleme treten offen zutage, wenn ein Kommunikationskanal die Organisation zur Zusammenarbeit zwingt. Facebook ist solch ein Beispiel. Der Kunde sieht eine Oberfläche für das gesamte Unternehmen und möchte darüber kommunizieren. Themenübergreifend, mit kompetenten Ansprechpartnern und in Echtzeit. Diese Anforderung stellt klassische Unternehmensorganisationen vor gewaltige Herausforderungen. Und diese müssen gemeistert werden.

 

Digitale Kommunikation verlangt einen organisatorischen Wandel

 

Die tiefere Betrachtung zeigt vier organisatorische Voraussetzungen für den kommunikativen Erfolg im digitalen Zeitalter.

  1. Geschwindigkeit: Die vernetzte Gesellschaft erwartet Kommunikation in Echtzeit.
  2. Interaktivität: Kommunikation ist keine Einbahnstrasse mehr, sondern Interaktion.
  3. Vernetzung: Unternehmen müssen sich mit ihren Stakeholdern vernetzen, wollen sie nicht zu Monolithen in einer sonst vernetzten Gesellschaft mutieren.
  4. Abstimmung: Das Unternehmen wird zur Person, die mit einer Stimme sprechen muss.

Klassische Organisationsstrukturen erweisen sich bei der Erfüllung dieser Kriterien regelmässig als Engpass. Diesen zu überwinden wird zur

grössten Herausforderung für den modernen Kommunikator.

 

Von den Profis lernen: Unternehmen werden auch organisatorisch zu Medien

 

Wer sagt, dass Unternehmen zu Medien werden, hält den Schlüssel für die Umsetzung bereits in der Hand. Unternehmen müssen ihre Kommunikationsstrukturen umbauen. Medienunternehmen können dabei als Vorbild dienen. Kompliziert und kostspielig? Ich behaupte sogar, dass Kommunikation viel einfacher und günstiger wird, wenn die grundlegenden Erfahrungen der Medienbranche übertragen werden.

 

Zunächst einmal muss die Kommunikationsaufgabe als ganzheitliche Herausforderung verstanden werden. Beinahe jede Abteilung eines Unternehmens kommuniziert – nach aussen und innen. Eine klare, bereichsübergreifende Kommunikationsstrategie wird erforderlich. Wie starke Medienmarken muss die Unternehmenskommunikation auf abgestimmten Werten, Botschaften und Positionen aufsetzen.

 

Ebenso wichtig für den Erfolg sind die Prozesse. Eine schnelle, interaktive, vernetzte und abgestimmte Kommunikation über eine Vielzahl von Kanälen erfordert eine vollkommen neue Prozessorganisation. Corporate Communication Hubs sind eine Möglichkeit, um hierarchieübergreifende Abstimmungen zu vereinfachen. Ihr Vorbild ist der klassische Newsdesk, in Redaktionen seit langem bewährt. Er führt virtuelle Organisationen räumlich zusammen, lässt sie in hoher Agilität abstimmen und sich wieder in ihre Arbeitsbereiche zurückziehen. Es entsteht eine Art Kommunikations-Schaltzentrale, vielleicht sogar eine neue Kommandozentrale. Wer die Intensität eines Newsdesks erlebt hat, kann sich traditionelle Meetings nicht mehr vorstellen.

 

Ein weiterer Schlüssel ist die mehrfache Nutzung von Content. Kein Medienunternehmen würde lange überleben, wenn Content nicht über die

verschiedenen Kanäle und Angebote genutzt würde. Voraussetzung sind kluge Datenkonzepte, einheitliche Content Management Systeme und integrierte Prozesse. Innovative Medienunternehmen sind in der Lage, Content automatisch über verschiedene Kanäle und Formate auszuspielen – ohne dass jemand Hand anlegt. Ein harmonisiertes Rechtemanagement, intuitive Archive und standardisierte Kanalformate sind notwendige Grundlagen. Diese zu erarbeiten ist mühsam, bereitet jedoch die Basis für das übergeordnete Ziel: Vernetzte Kommunikation im digitalen Zeitalter.

 

Kommunikation 4.0 organisieren: Was Sie jetzt tun müssen

 

Strategie, Prozesse, Strukturen – der organisatorische Dreischritt gibt auch in diesem Thema Richtung und Reihenfolge vor. Zunächst zur Strategie. Natürlich besitzt jedes professionelle Unternehmen bereits eine Kommunikationsstrategie. Doch der Anspruch von Kommunikation 4.0 geht weit über das traditionelle Niveau hinaus. Alle Bereiche des Unternehmens, alle Kanäle und alle Themen werden Teil der Kommunikationsstrategie und wachsen zusammen. Authentizität entsteht, wenn das Unternehmen mit einer Stimme spricht, wie eine Person. Die höchste Aufgabe einer Kommunikationsstrategie ist es, diese Person zu definieren – mit ihren Werten und Inhalten, mit ihrer Sprache und Einstellungen.

 

Einen vergleichbaren Entwicklungsschritt muss die Prozessorganisation nehmen. Grössere Unternehmen bespielen heute bereits hunderte Kanäle für die Kommunikation nach aussen und innen. Viele dieser Kanäle sind nicht integriert und erst recht nicht vernetzt. Unterschiedliche Systeme sind im Einsatz, Content wird mehrfach erstellt und die zahllosen manuellen Schnittstellen bleiben verborgen. Eine übergeordnete Kostenanalyse der Kommunikation fehlt.

 

Eine zukunftsweisende Prozessorganisation zeichnet ein anderes Bild. Die Kommunikationskanäle speisen sich aus einem einheitlichen Content Managementsystem. Harmonisierte Formate und standardisierte Prozesse legen die Schienen, auf denen Inhalte schnell und effizient verbreitet werden. Abstimmungs- und Reaktionsmuster sind fest verdrahtet und funktionieren intuitiv. Das Unternehmen wird durchlässig, Stakeholder kommunizieren direkt mit den verantwortlichen Abteilungen.

 

Auch hier sei der Vergleich zur Medienbranche erlaubt. In Medienunternehmen ist die Produktionsaufgabe industrialisiert. Zeitungsredaktionen produzieren täglich hunderte von Seiten und Webpages in automatisierten Routinen. Und sie bringen hunderte von Wissensträgern und Entscheidern zusammen, die täglich oder stündlich ein neues Produkt erstellen. Diese Mammutaufgabe gelingt nur, weil die Prozessorganisation stimmt. Einheitliche Systeme, stark automatisierte Produktionen, kanalübergreifende Contentnutzung, flexible Abstimmungsroutinen und klare Verantwortungen sind daher die Themen, die sich auf der Agenda eines jeden Kommunikationsverantwortlichen finden sollten.

 

Schliesslich bleibt die Frage nach der richtigen Organisationsstruktur, die in so manchem Unternehmen am leidenschaftlichsten diskutiert wird. Es gilt, ein Dilemma zu lösen. Der Anspruch, wie eine Person zu kommunizieren, führt zu einer stärkeren Zentralisierung der Kommunikationsaufgaben. Die Erkenntnis, dass beinahe alle Funktionen des Unternehmens an der Kommunikation teilnehmen, lässt hingegen einen dezentralen Ansatz realistisch erscheinen.

 

Wie so häufig schwingt ein Pendel zwischen zentraler und dezentraler Organisation. Auch in dieser Frage hilft der Blick hinter die Kulissen der Medienunternehmen. Dort findet sich eine Kombination aus klaren Verantwortlichkeiten und virtuellen Matrixstrukturen. Klar definiert sind Themen, die inhaltlich und in ihren Produktionsprozessen eng verknüpft sind. Über virtuelle Strukturen angebunden sind Themen, die eigenständig bearbeitet werden, jedoch nach aussen eng abgestimmt werden müssen. Die Knotenpunkte der Matrix sind in Medienunternehmen intuitiv organisiert, z. B. über eine laufende Abstimmung am Newsdesk.

 

Für Unternehmen bedeutet dies zweierlei: Zum einen wird es eine stärkere Zentralisierung der Aufgaben geben. Klassische Kommunikationsaufgaben wie Unternehmenskommunikation, digitale Kommunikation, Markenkommunikation, HR-Kommunikation, Marktforschung, etc. werden näher zusammenrücken – eventuell sogar unter einer Verantwortung. Die Kommunikationsaufgaben im Vertrieb, in den Service- und Entwicklungsbereichen jedoch werden eher über Systeme, Prozesse und Abstimmungsroutinen integriert werden. So entsteht eine flexible Kommunikationsorganisation, die sich schnell den Anforderungen des Geschäfts anpassen kann.

 

Das Fazit ist einfach. Wenn Unternehmen zu Medien werden wollen, brauchen sie eine Organisation wie Medienunternehmen.  


Rolf-Dieter Lafrenz (1967 geboren) ist seit mehr als 15 Jahren geschäftsführender Gesellschafter der SCHICKLER Beratungsgruppe.

In dieser Zeit führte SCHICKLER über 500 Medienprojekte durch, viele unter seiner Leitung. Als Experte für die Medienbranche gilt Rolf-Dieter Lafrenz als anerkannter Gesprächspartner und Berater, sowohl in Strategie- und Organisationsfragen als auch in der Besetzung von Top-Management-Positionen.