Kunde König wohnt im Luftschloss

Firmen wissen heutzutage alles und doch nichts über ihre Zielgruppe. Menschen lassen sich eben nicht auf ein paar Eckdaten, eine Bestellhistorie oder auf nackte Fakten reduzieren.

 

Von Bettina Schulz | Chefredakteurin «novum World of Graphic Design»

(Publikation hier mit freundlichem Einverständnis der Autorin)


«Der Kunde ist König» wird von Unternehmen immer öfters neu ausgelegt.
«Der Kunde ist König» wird von Unternehmen immer öfters neu ausgelegt.

Das Leben ist durchzogen von Gratwanderungen. Ein Schritt zur falschen Seite, und schwups schwebt man über dem Abgrund oder einen Finger breit über dem Fettnäpfchen. In Sachen Kundenbetreuung ist dieser Pfad zwar nicht unglaublich schmal, aber dennoch wohl nicht breit genug, um nicht in die eine oder andere Richtung zu kippen. So gibt es Unternehmen, die nach erfolgter Leistung vorsichtshalber gleich dreimal anrufen, ob der geneigte Kunde denn wirklich (wirklich? Also, ganz ehrlich?) zufrieden war. Das löst schon mal ein reflexhaftes Drücken auf den Auflegeknopf aus (leider verstopfen diese permanenten Nachfragen zu gerne auch die Mailbox). Und selbst bei tiefster Glückseligkeit über eine gelungene Lieferung möchte man ganz sicher nicht immer eine ausführliche Rezension verfassen – wer hat bitteschön auch die Zeit, jeden seiner Einkäufe von der Klobürste bis hin zum Taschenbuch zu bewerten? Ging es denn früher nicht auch ohne zweihundert «andere Kunden sagten»-Statements?

 

Virtuelle Geschäfte haben eben ihre Tücken: Der Kunde bleibt dabei unsichtbar, kann nicht persönlich eingeschätzt werden und auch noch so akribisch angelegte Profile ergeben nie ein komplettes Bild. Oder anders gesagt: Firmen wissen heutzutage alles und doch nichts über ihre Zielgruppe. Menschen lassen sich eben nicht auf ein paar Eckdaten, eine Bestellhistorie, nackte Fakten reduzieren … Und so steht auf der anderen Seite der Online-Kunde, ein Geist, eine Auftragsnummer, die als Dankeschön für getätigte Bezahlung auch noch schriftstellerisch tätig werden darf. Ist ja alles zum Segen der Community und hilft dabei, «unseren Service zu verbessern» (sofern nichts Kritisches angemerkt wird) …

 

Zum Wohle des Kunden ist beispielsweise auch das Programm der Lufthansa: Kurze Zeit nach einem Flug erhält der Passagier eine Aufforderung, sich doch an einer Umfrage zu beteiligen, um die eigene Qualität zu prüfen, die – Achtung – auch «nur» zehn Minuten in Anspruch nehmen würde. Diese möchte man bitte aber innerhalb der nächsten sieben Tage ausfüllen … no better way to kill my time! Einst gab man sich bei solchen Aktionen immerhin noch die Mühe, mit einer Verlosung in die Umfragefalle zu locken, heute scheint es eine Selbstverständlichkeit zu sein, dass sich gefälligst der Kunde Gedanken um die Verbesserung des Service machen soll.

 

Na gut, ich checke bereits selbsttätig für Flüge ein, verfrachte eigenständig mein Gepäck aufs Fliessband, scanne mancherorts meine Einkäufe selbst und kassiere mich selbst ab (vielen Dank, dass ich bei Ihnen eingekauft habe) – warum sollte die Marktforschung eigentlich nicht auch noch in mein Aufgabengebiet fallen …



Bettina Schulz (1974 in München geboren) ist seit 2001 Chefredakteurin des internationalen Fachmagazins «novum World of Graphic Design», deren Redaktion sie schon seit 1994 angehört. Zudem arbeitet sie als freie Texterin und Redakteurin in München für nationale und internationale Magazine sowie Kunden aus verschiedenen Branchen.